Sie sind fast schon wieder bei der flachen Sandkuhle angekommen, als sich plötzlich das Wasser, durch das so schön das Sonnenlicht flutet, verdunkelt. Sie sehen noch die beiden spielenden Fischlein, die offensichtlich gar nichts merken, als wie Blitz so etwas wie eine spitze, vorn gekrümmte Lanze von oben durch das Wasser bricht.
„Aaaaaah, Vorsicht!“, kreischt Kelly.


Ruckartig halten Coachy und Rosa in ihrem Spiel inne – und nun scheint alles zur gleichen Zeit zu passieren. Die merkwürdige Lanze rast auf die beiden zu, als sich eine riesige Gestalt mit zwei großen flachen Steinen auf dem Rücken aus dem Sand erhebt und sich mit einem grausigen Aufheulen der Lanze entgegenwirft. Lou wird ganz durchsichtig vor Schreck und alle vier flüchten hinter breite Algen am Algenwaldrand. Die Lanze schlägt heftig auf einem der Steine auf und die breite Gestalt versinkt mit einem „Uff“ wieder ein Stück im Sand. Oberhalb der Lanze senkt sich nun breit und schwarz eine wuschelige Wolke über die Sandgestalt. Zwei kalte Augen starren erst die Gestalt, dann den Algenwald an, in den die kleinen Fischlein geflüchtet sind. Dieser Blick lässt jeden zu Eis gefrieren, denkt Kelly, die alles aus sicherem Versteck beobachtet. Die schwarze wuschelige Wolke zieht sich zusammen, hebt die gefährliche Lanze Richtung Wasseroberfläche und verschwindet so schnell, wie sie aufgetaucht ist.steinbutt3

Zittern und eng aneinandergedrückt starren sie auf die Sandkuhle, die bis eben noch ihr Spielplatz war. Sie wissen gerade noch nicht, wovor sie sich mehr fürchten. Vor der gefährlichen Gestalt von oben oder der gruseligen von unten aus dem Sand. Als erster erholt sich Coachy von seinem Schreck. Er löst sich aus der kleinen Gruppe und schwimmt langsam und vorsichtig auf die Stelle zu, an der sich die große flache Gestalt aus dem Sand erhoben hat. Immerhin hat sie ihm und Rosa wohl das Leben gerettet, dann kann sie ja nicht so schlimm sein – oder?
„Ist der mutig!“ flüstert Rosa.
„Oder irre“, knurrt Lou. Aber so richtig eifersüchtig ist sie eigentlich gar nicht mehr.

Coachy schaut suchend auf dem Sandboden herum und fährt erschrocken zurück, als ihn aus dem Sand plötzlich zwei Augen anschauen. Dann bewegt sich ein Teil der Sandfläche und ein großer breiter Fisch hebt sich ein wenig aus dem Sand heraus. Er hat immer noch einen flachen Stein auf dem Rücken, den anderen hat die Lanze weg geschleudert. Sein breiter Rücken ist farblich dem Meeresboden komplett angepasst und hat dunkle Flecken. Seine Rückenflosse läuft vom Kopf bis zum Schwanz am ganzen Körper entlang – und – warte mal, auf der anderen Seite hat er ja noch eine Rückenflosse. Nein, das muss dann eine seiner Seiten- oder Bauchflossen sein ... aber wo sind dann die andere? Und nun wird Coachy erst so richtig bewusst, dass er in BEIDE Augen schaut. Fische haben doch die Augen an den Seiten, du schaust also immer in EIN Auge. Dieser Fisch hat aber beide Augen AUF DEM RÜCKEN!! Nun gruselt es Coachy wieder ein wenig. Nein, die Augen sind doch eher auf dem Kopf, aber es sieht alles so wie Eins aus.

„Hallo, junger Fisch“, sagt eine tiefe, rauhe Stimme, der anzuhören ist, dass sie sonst wohl nicht viel spricht.
„Wwwwer bist du?“, stottert Coachy.
„Ich bin ein Butt.“ Dieser merkwürdige Fisch ist offensichtlich kein Freund großer Worte.
„Wo kommst du so plötzlich her?“, versucht es Coachy erneut und nähert sich wieder.
„Ich lebe schon viele Jahre hier in der Sandkuhle.“
„Aber wir haben doch eben noch hier gespielt; da warst du noch nicht da.“
„Doch, doch“, brummelt der Butt. „Ihr seid ganz schön auf mir herum gehopst. Das hat vielleicht gekitzelt.“
Coachy läuft es eiskalt den Rücken runter. Da haben sie die ganze Zeit auf einem riesigen Fisch herumgehopst und gespielt - und nichts gemerkt! Das hätte auch gefährlich sein können! Er schüttelt sich, um die panischen Gedanken loszuwerden.
„Was frisst du denn so ..?“, fragt er den Butt vorsichtig.
Da muss der brummelige Butt nun doch schmunzeln. Offensichtlich hat der kleine Fisch Angst vor ihm. Und das ist gar nicht so unberechtigt!
„Ich fresse gern kleine Fische“, grummelt der Butt.
Coachy reißt die Augen weit auf vor Schreck und entfernt sich rasch wieder ein gutes Stück. Die drei Fischmädchen, die das Gespräch aus sicherem Versteck mit angehört hatten, richten sich mit entsetztem Quitscher steil auf und machen sich fluchtbereit.
„Coachy, komm‘ da weg!“ ruft Lou. Sie macht sich nun doch Sorgen um den Neuen.

Ihr hattet Glück, für heute bin ich schon satt. Da war es mir lieber, mir von euch den Rücken massieren zu lassen, als euch zu fressen.“
„Aber du hast uns vor der dunklen Lanze gerettet!“ wundert sich Coachy. kormoran„Du meinst den Kormoran – ja, dem habe ich euch nicht gegönnt. Der geht mir oft tierisch auf die Nerven mit seinem plötzlichen Eintauchen hier. Manchmal erschrecke sogar ich mich, wenn ich gerade so schön geschlummert habe.“
„Ein Kormoran? Was ist das für ein Fisch?“ fragt Coachy. Bei aller Angst, siegt doch die Neugier.
„Das ist ein Vogel“, raunt der Butt.
„Ha! Ein Vogel, hier unter Wasser?“ Coachy schaut den Butt ganz ungläubig an. Will der uns verkohlen, weil wir nur kleine Fische sind?
„Hmm, das ist eben ein Vogel, der tauchen und schwimmen kann. Gut sogar, wie du gesehen hast. Er frisst auch sehr gern kleine Fische. Und nun ist genug, ich bin müde. So viel habe ich seit einer Ewigkeit nicht mehr gelabert. Macht euch davon, solange ich nicht hungrig bin. Und haltet in Zukunft die Augen nach allen Seiten offen. Auch nach oben und unter.“
„Aber …“ Coachy hätte ihn noch gern so viel gefragt, doch mit diesen Worten buddelte sich der Butt wieder in den Sand ein und im Nu war von ihm rein gar nichts mehr zu sehen. Puh, dachte Coachy, das ist ja noch mal gut gegangen. Vorsichtig schwimmt er erst ein Stück rückwärts, immer schön die Stelle beobachtend, an der der Butt wieder verschwunden ist, wendet dann abrupt und schwimmt rasch zu den drei Fischmädchen.

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